Die Frage

für Evelyn O.

Du stellst mir diese Frage
: Wie geht es Dir?
auf diese Art und Weise.
an einem gewöhnlichen Tag.

Es ist, hör ich mich sagen,
der Tag der Freiheit, ich könnte
klagen, aber ich singe
ein anderes Lied.

Ich kann nicht fliegen, kann
nicht singen, und doch ist es,
als erhöbe ich mich
über mich selbst.

Wie geht es dir?
Das neue System erinnert
mich an das alte,
als es am Ende war.

Ich weiß, genau genommen, nicht.
Nun ja, es geht.

Mein Kopf ist schwer wie eine Bombe,
ich lege Feuer an die Lunte.
Ich hänge süchtig an der gelben matten Scheibe.

Ein Wolf heult
seine Klage in die Nacht.

Du fragst. Ich sage
: ich schwimme im Eismeer,
ein Seehund. Ich meine nur.
Ich werde alt, ich spüre schon die

Knochen. Ich rieche aus dem Mund,
Ich weiß, genau genommen, nicht,
wozu? Das Leben ist eine liebe
Angewohnheit. Ich wohne zwischen Gärten,

Menschenvögeln haben
einen Stich, sie flattern.
Ich bin am Ende, mir geht es gut,
Es ist der Kampf der friedlichen Systeme,

ich spucke hin und wieder Blut.
Freue mich über das Kleine und
dass sich nichts ändern wird,
ich gehe barfuß über eine grüne Wiese,
hoffe irgendwas.

Du fragst. Was soll ich sagen?
Es ist der Tag ein schöner Nachmittag,
der Glauben ging verloren,
das Eismeer ist so kalt.

Du stellst mir diese Frage.
Ich schwimme, sage ich, mitten
im Leben.
Ich hasse diese Frage.

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Photogen

für meinen Vater zum 70. Geburtstag

Der Man und das Kind stehen Pfingsten
Neunzehnhundertzweiundsechzig
an der Hausäcke.
Der Man ist der Vater,
ein interessantes Gesicht,
hat sechsunddreißig Jahr,
hat sie vollendet.

Das Kind ist der Sohn, ist zehn,
mein Gott, sieht der hübsch aus!
Und schwarzweiß.
So lang ist das her!

Vater und Sohn haben gespielt,
haben Einkriegzäck im Gaahrden,
zwischen den Bäumen, auf der gälben Wiehse
unter dem Hümmel schwarzweiß,
bis zum umfallen.

Der Faahder ist auferstonden von seiner Orbeit,
von den Worten und Problämen.
Gudd Faahder,
Man mit fielen Worten.
Erholt sich vom Tohben.
Er sucht die Oblenkung.
Sieht er bedrickt aus?

Äs schmäckt dem Son die Mülsch aus
der grossen Tasse weißkaldfrüsch.
Die mit dem Hänkel ist aus
Königsberg mitgegommen.
Der Son hat sich gewetzt
nach dem Man
mit den fühlen Worten.

Klücklisch lähnt er an den Faahder.
Er libt den wie nichts.
Er schmiegt sich
wie nüschts auf der Welt:
Main ein und olles.

Der Man stäht in Gedanken,
er ist gedruckt, vielleischt wägen die
Plähne, Büscher, dicke Rohmane,
vielleischt, versunkener Blick, redigiert,
was anderes,
dos weiblüsche oder das
polütische Geschlächt?

Ein Schönman, ein Sorgenman.
Man, waren das tücklische Zeiten!
Die Zugkunft,
wer hätte dos gedacht:
wenn das Telephon schrillpst,
– Hallo! Folsch vabunden!

Unsichtbaranwesend:
Fraumudder, die Ärste, hinter dem Photoapparat.
– Komm, wir machen ein Büld!
Lächeln, Faahder! Guck hier, Son!
Nicht wackeln! Achtung!
– Golda, meine Einzige!
Warten auf Bässerung?
Ein Kint vasteht das nicht.

Klacks, spricht der Apparat,
Rolleiflex, GERMANY,
sächs mal sächs.
Äs gäht der Faahder zum
Schreibtisch schufteln,
die schröcklich füllen Worten,
Warianten, Interlinear.

Und Mudderfrau schwindelt ins Haus,
sie schaint lichtempfündlisch.
Nun: Der Son stäht im Gaahrden, zwischen
den Bäumen, auf der gälben Wiehse
unter dem Hümmel schwarzweiß.

– Faahder, spühlst du mit mir!
Der ist fortgeganken.
Die Äcke ist lär.
Am Tüsch sitzt ein Geist
und düchdet in
einem Wort –
Fort.

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Die Frage II

Mein Kopf ist schwer wie eine Bombe
Ich schäme mich ein Deutscher zu sein
ein Deutscher mit ostdeutscher Identität
Nachfahre jener Deutschen
die einen Geisteskranken
zu ihrem Führer machten

Ich habe auf der ganzen Linie verloren
lege Feuer an die Lunte
schäme mich jener
die den rechten Arm hoben
schikanierten entehrten
und ermordeten
Ich schäme mich

Das Deutsche wurde mir nicht
in die Wiege gelegt
eher das Schicksal der vertriebenen
Polen und Ostpreußen
der Verlierer
Ein Knall
ein Overkill

Ich hänge süchtig an der matten Scheibe
der Gefälligkeiten
Ich bin ein Wolf aus
Einsamkeit und schwarz

Ein Kind des Wirtschaftsaufschwungs
von VW und Krupp
der deutschen Wertarbeit
und Ordnungsliebe
ein Kriegstreiber

Ich schäme mich
Deutschland

In Schuld vereint
mein ungeliebtes Land

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