Ist lange her
dass Vater mich auf seinen Armen trug,
an seiner kräftigen Brust,
der Stierkopf, die nach
Zigarette stinkenden Finger,
die Aussicht da oben,
der beste Platz auf Erden.
ist lange her
dass er die Frau im Arm hielt,
meine Mutter,
ihr leise ins Ohr flüstert,
ihre Hüfte schwungvoll
stößt und schließt die Augen
beim Erguss.
So muss das Kind entstanden sein.
ist lange her
am Schreibtisch, den Nacken
gebeugt, eingehüllt in Rauch,
er, der Einzige, Worte
Silben, Namen wälzend.
Täglich klappert die alte Erika,
klick klack, auf leisen
Sohlen schleicht die Familie.
Noch nie war er so gut wie heute.
ist lange her
dass die oberschlesische Erde,
satt von Schwarz,
durchsiebt von Industrie,
Hass und Tod.
Seine Mutter war eine
starke Frau, ihr Glauben
unerschütterlich an
ihren magischen Gott.
ist lange her
dass er wie Treibholz durch die Geschichte irrt,
auf der Suche nach Heimat,
durchschwimmt die Oder,
ein Held der nullten Stunde.
Tot sein ist besser
als gar nicht leben,
der Geist der Literatur
nimmt dort seinen Anfang.
ist lange her
die kleine Familie, Siegfriedstraße 16,
das junge Glück auf Lebensmittelkarten,
die kalte Mansarde im zweigeteilten Haus,
Bau auf, bau auf die Sowjetmacht!
„Golda, gib mir eine Mark!“
Das kann nicht alles gewesen sein,
„Glaub mir, Golda, Vögelchen!“
Hoch steht der Herrscher des Wortes,
in fremder Sprache murmelt
er geheimnisvolle Parolen ins Telefon,
überirdische Treffpunkte, lenkt
am Abend seine Schritte,
ins dunkle Tal.
Die Schweinerei stirbt am Hochmut.
ist lange her
der fliegende Holländer tanzt durch die Welt,
Lüge und Zwietracht zerreißen das Haus,
die beiden Menschen passen nicht,
und was soll das Kind?
Türen werden geschlagen, und nach
vierzehn Wintern rollt der Möbelwagen,
ein Laster voll Papier.
Zurück bleiben das leere Zimmer,
ein Buch, der Geist ist flüchtig.
ist lange her
die heißen, trocknen Kolberger Sommer,
die schwitzende Bergstraße hinauf,
die winzigen Kiefern,
per Rad in die Streganzer Berge,
obwohl das Betreten verboten war.
Sperrgebiet! Es wird scharf geschossen!
Die Hütte, der Ort der Freiheit, ein
Spielplatz der Lust, des freien Atmens.
Ort der Schöpfung,
unvorstellbar ohne ihn.
Er lässt seine Muskeln spielen,
hart saust die Axt ins Holz.
ist lange her
Schwimmen im Wolziger See,
am klaren Grund die Muscheln.
Im Winter folge ich deiner Spur durch
den weißen Schnee.
Die Jahre gehen ihrer Wege,
die Ansichten stehen an der Mauer
des Unverstands, des Stolzes.
ist lange her
Die große Liebe.
Unsterblich meißelst du der Jahre Folge,
das Buchstabenalphabet,
die ewige Bibliothek,
eine Jahrhundertschrift.
Meisterdirigent der Silben,
Kapellmeister der Kommata,
Hauer im Bergwerk der Verständigung.
Wanderer zwischen den Worten.
Die einzige Form
bleibt treu
der wahren Geliebten.