Mein Janusgesicht

Ich blicke in den Spiegel
und sehe einen alten Mann.
Mein Gesicht voller Falten,
voller Fragen, voller Sorgen.
Sehe auch den jungen Mann,
der ich einst war: Volles Haar,
glatte Stirn, Zuversicht.
Stellt sich die Frage,
wer ich wirklich bin?
Der oder der?

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Nach dem Begräbnis II

für Manfred Strehlau (1950 – 2022)

Nach dem Begräbnis sind alle betroffen,
steigen in ihre Kfz und fahren,
nach einem Umtrunk,
nach Hause, in ihr eigenes Leben.

Deine großen Taten wurden hinreichend
gerühmt, auch deine zahlreichen Fehler
haben wir nicht unter den Tisch fallen lassen.
Das, was dazwischen war, dein Leben,
davon wussten wir nichts.

Jetzt, wo du unter der Erde bist,
erinnern wir uns. Jetzt fehlst
du uns. Jetzt wissen wir, wer du warst.

Wir sitzen am Küchentisch, hören
Nachrichten und stellen uns die Fragen,
die wir uns jeden Tag stellen.

Warum wachsen die Bäume in den Himmel?
Warum klingelt das Telefon?
Warum müssen wir sterben?

Dein Spiel bricht ab, deine Worte
verhallen im Wald.
Die Passion ist beendet.
Schweigen ist dein letztes Tun,
die Geige verklingt.

Leer und still ist meine Küche.
Nur die Bäume tuscheln.
Erde ist ein kalter Ort, wenn
Herbst das Licht früh bricht.

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Kraniche im Oktober

Sie schweben im Blau des Firmaments,
kreisen, segeln, fiepsen,
winzige Punkte im grellen Sonnenlicht.

Die Trompeten von Jericho
steigen höher und höher.

Flugkünstler, die sich im Dunst
einer Schleierwolke verflüchtigen.
So wie du, Liebste.

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